Gerhard Neumann
Professor für Autonome Lernende Roboter am Karlsruher Institut für Technologie
Wie Roboterarmen das Lernen gelehrt wird
Ein Ei sanft und doch sicher aufheben. Ein ellenlanges Kabel entwirren. Mit hochgefährlichem Nuklearmüll hantieren. Was für uns Menschen herausfordernd bis unmöglich sein kann, macht auch Roboterarmen Schwierigkeiten. Die Roboter sollen maschinell lernen, welche Situation welchen Bewegungsablauf in welcher Intensität erfordert. Gerhard Neumann vom Robotik-Labor am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) hilft ihnen dabei, lässt sie schneller und flexibler lernen – dank interaktivem Feedback und Methoden des verstärkenden Lernens (Reinforcement Learning).
„Ich beurteile, ob eine Durchführung gut oder schlecht war“, sagt er. „Außerdem gebe ich dem Roboterarm eine neue „Demonstration“, wenn er nicht weiß, wie er mit einer Aufgabe umgehen soll.“ Damit die von ihm im Labor trainierten vier Roboterarme schneller „be-greifen“, was er meint, nutzt Neumann in seinem Labor verschiedene Methoden: Sein Ziel ist, die Bewegungssysteme mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz selbständiger, autonomer werden zu lassen.
Handlungswissen aus anderen Bereichen muss oder soll dafür mit möglichst geringem Aufwand an den Roboterarm übertragen werden. Mit KI lassen sich beispielsweise Bewegungsabläufe von Menschen wie auch Tieren in Videos im Detail analysieren. Roboter können dann mithilfe dieser Daten und Neumanns KI-Algorithmen ihre eigenen Bewegungsabläufe immer weiter verbessern. Der Bedarf an maßgeschneidert zupackenden Roboterarmen ist riesig und reicht von der industriellen Fertigung über die Kreislaufwirtschaft bis zur Nuklearindustrie, für die Neumann im Laufe seiner internationalen Karriere bereits Roboter entwickelt hat.
Durststrecke Promotion
Am Anfang seiner beruflichen Laufbahn aber stand die Promotion, die ihm einen langen Atem abverlangt hatte. Sechs Jahre war Neumann dafür an der Technischen Universität Graz tätig. „Einerseits konnte ich frei machen, was ich wollte. Andererseits hat es dann auch sehr lange gedauert, auch weil die Unterstützung des Doktorvaters streckenweise fehlte“, erzählt Gerhard Neumann. „Es ist frustrierend, wenn man nicht so schnell weiterkommt, wie man sich das wünscht. Aber Durchhaltevermögen ist wohl eine der wichtigsten Eigenschaften, die man als Wissenschaftler braucht.“
Wie auch Kontakte: Als der Doktorand aus Österreich auf einem Workshop zu „Reinforcement Working“ am Max-Planck-Institut für Biologische Kybernetik in Tübingen Jan Peters kennenlernte, konnte er die wissenschaftliche Durststrecke beenden: Peters, der eben erst an der TU Darmstadt eine neue Professur für Intelligente Autonome Systeme angetreten hatte, wurde sein zweiter Supervisor und Doktorvater.
Am Max-Planck-Institut absolvierte Neumann 2008 zwei Monate lang ein Praktikum, mit dem er seine Doktorarbeit entscheidend voranbrachte. Am Ende entstand aus Neumanns Arbeiten an Real-Reinforcement-Learning-Algorithmen, mit denen ein Roboter seine Bewegungen durch Ausprobieren beziehungsweise Feedback Schritt für Schritt verbessert, eine Beta-Version eines lernfähigen Roboters.
Die erfolgreiche Zusammenarbeit mit Jan Peters mündete 2012 in Neumanns erste Anstellung als Postdoc: „Und so war ich von Anfang beim Aufbau der neuen Gruppe dabei.“ In Darmstadt wurde ihm dann auch eine Juniorprofessur angeboten, die er annahm.
Da die Stelle auf sechs Jahre befristet war, bewarb sich Neumann nach einiger Zeit auf weitere Stellen in Deutschland. „Das war nach der Promotionszeit die zweite große Hürde“, erinnert er sich. Auf seine Bewerbungen erhielt er nur wenige Einladungen zum Vorstellungsgespräch, auch weil er bis dahin noch keine Erfahrungen im englischsprachigen Ausland gemacht hatte. Aber auch hier halfen gute Kontakte weiter.
In Darmstadt hatte Neumann im Rahmen internationaler Projekte Kollegen der University of Lincoln in Großbritannien kennengelernt – von wo ihn eine Anfrage erreichte. Für zweieinhalb Jahre ging Neumann 2016 als Full Professor an den Lehrstuhl für das Lernen von autonomen Systemen und befasste sich dort mit Nuklearrobotik.
Sortieren, aufschneiden, nehmen, sortieren
Das Szenario: Radioaktiv verseuchter Müll in alten und möglicherweise undichten Fässern, der in den 1950er und 60er Jahren in irgendwelchen Stollen gelagert wurden. Aber wo liegt welcher Nuklearmüll? Er muss in jedem Fallwiederaufbereitet werden, also aufgespürt, umsortiert und in sichere Fässer transferiert. „In Großbritannien ist dieses Szenario ein akutes Problem“, sagt Gerhard Neumann, der in Lincoln im Rahmen des 2020 beendeten EU-Konsortialprojekts „Robotic Manipulation for Nuclear Sorting and Segregation“ (ROMANS) an eben dieser Problematik arbeitete.
Sein Part war das so genannte Mission Learning: Bestimmte Tätigkeiten, für die ein Roboter per Joystick-Fernsteuerung angeleitet wird, werden so noch stärker automatisiert: „Wir haben Algorithmen angeschaut, die zum jeweiligen Roboter passen, etwa um verknotete Kabel aufzudröseln, ein Fass aufzuschneiden oder um den Müll herauszunehmen und zu sortieren.“ Wird jetzt also das Aufräumen in nuklearen Mülldeponien effizienter werden? Gerhard Neumann winkt ab: „Das wird sicher noch Jahrzehnte dauern.“
„Die Arbeiten zur Nuklearrobotik waren sehr interessant“, sagt er. „Das englische akademische System ist doch sehr anders als das deutsche oder das österreichische, wobei dort die technischen Wissenschaften keinen großen Stellenwert haben.“ Überhaupt werde die universitäre Forschung in Deutschland dank der akademischen Selbstverwaltung deutlich stärker gefördert und auch die Studierenden seien auf einem höheren Leistungsniveau.
Er selbst ging nach einem lukrativen Angebot zunächst an das Bosch Center for AI im schwäbischen Renningen, wechselte nach weiteren Angeboten von Universitäten in Deutschland und Österreich aber doch wieder in die Wissenschaft, genauer: an das Karlsruher Institut für Technologie (KIT). „Der Job bietet nicht nur mehr Sicherheit, sondern auch mehr Freiheit“, sagt Neumann, der sich mittlerweile eher in der Rolle eines Managers sieht. Am KIT betreut er schließlich 20 Doktorandinnen und Doktoranden, kann also ein breites Forschungsgebiet abdecken. Und auf bisherigen Erfolgen aufbauen.
Von der Nuklearrobotik zur grünen Robotik
Die Algorithmen aus dem Nuklearmüll-Projekt ROMANS etwa sind flexibel verwendbar. Sie werden auch in Neumanns Arbeiten für den neuen Sonderforschungsbereich zur Kreislauffabrik eine Rolle spielen, der im April 2024 am KIT eingerichtet wurde. „Es geht darum, wie man verschiedene hochwertige Produkte wie Elektromotoren und Bohrmaschinen wieder aufarbeiten kann“, sagt Gerhard Neumann. „Sie sollen in die nächste Produktgeneration überführt werden, ohne dafür komplett neue Bauteile zu verwenden.“ Auch hier geht es ums Sortieren, Aufnehmen, Aufschneiden und erneute Sortieren.
Aktuell würden gebrauchte Bauteile nicht aufgearbeitet, weil es zeitaufwändig und damit zu teuer ist, sagt Neumann. Das wiederum mache die lernfähige Robotik in diesem Bereich so attraktiv. Sie könne helfen, die Kosten für die Aufarbeitung von Altteilen zu senken und damit den Ressourcenverbrauch in der industriellen Produktion zu senken.
Und wie geht es weiter? Nach Neumanns Ansicht werden uns Roboter künftig in verschiedenen Bereichen noch besser unterstützen. Bei einfachen Produktionsabläufen hätten Roboter Menschen zwar schon verdrängt. Bei schwierigen Aufgaben aber werde das „absehbar nicht passieren“, betont er. Ausnahme: „Beim nuklearen Müll ist das anders, weil man hier ja auch nicht wirklich möchte, dass sich Menschen um die Sortierung kümmern müssen. „Robotik soll den Menschen befähigen, effizienter zu sein – und in gefährlichen Bereichen sicher.“
Die Gefahr der Verdrängung sieht Gerhard Neumann an ganz anderer Stelle: Dank besserer finanzieller Förderung und größeren Rechenressourcen könnten die US-amerikanische und chinesische Wissenschaft die Forschung in Europa bald abhängen. „Die wenigsten der Sprachmodelle und Basismodelle kommen aus der universitären Forschung in Europa“, betont er.
Ähnlich unausgewogen sei die Lage bei Unternehmen: „Keine der großen IT-Firmen kommt aus Europa.“ Deutschland habe zwar in Sachen Industrie 4.0 einen Vorsprung gehabt, drohe jetzt aber, den nächsten Schritt hin zu KI-basierten Lösungen und Robotik-Anwendungen zu verschlafen, warnt Gerhard Neumann. Eine Rückbesinnung auf alte Stärken könne helfen. „Wir müssen die klassischen Ingenieurswissenschaften mit der KI-Forschung zusammenbringen“, sagt er. „Dazu gehört auch, dass die Universitäten Kooperationen und Verbundprojekte, etwa für größere Robotikcenter, ausbauen.“