Brände früher erkennen
In vielen Fabrik- und Lagerhallen hängen Rauchmelder an der Decke. Doch die elektronischen Aufpasser erkennen viele Brände erst spät – dann, wenn der Rauch bis weit nach oben gestiegen ist. So geraten Menschen in Gefahr, Sachschäden entstehen, und die Arbeitsabläufe werden massiv gestört. Bosch Building Technologies hat deshalb ein KI-unterstütztes Brandmeldesystem entwickelt, das bei Feuer und Rauch deutlich schneller Alarm schlägt.
Ein Montagmorgen wie jeder andere: Das riesige Presswerk in der Werkhalle eines Automobilzulieferers formt wie gewohnt Pkw-Heckklappen. Plötzlich tritt aus der Anlage hellgrauer Rauch aus. Keiner der Anwesenden bemerkt die kleine Rauchsäule, die langsam an der Seitenwand emporsteigt.
Aktuell wäre es in diesem fiktiven Fall sehr wahrscheinlich, dass sich die kleine Rauchsäule zu einem offenen Brand entwickelt. Denn in der Regel hängen in Industriebetrieben klassische Rauchmelder an Hallendecken, die auch weit über 15 Meter hoch sein können. Wie viel Zeit wäre vergangen, bis der Rauch dort angekommen wäre? Wann wäre die Konzentration für einen Alarm ausreichend gewesen? Hätten Staub und Feuchtigkeit den Alarm verzögert?
Von der Physik zu KI
Ein videobasiertes Branderkennungssystem von Bosch verkürzt die Reaktionszeiten deutlich. Es ist bereits in vielen Betrieben, Lagerhäusern, Kraftwerken und Tunneln in Europa, Asien und Nordamerika im Einsatz. Das System namens AVIOTEC nutzt intelligente Algorithmen, die direkt in die Kameras integriert sind. Diese überwachen alle sensiblen Bereiche der Fabrik und speisen ihre Daten in ein zentrales Managementsystem ein. Die Informationen laufen in der Leitstelle der Werksfeuerwehr zusammen und werden auf einer einheitlichen Nutzeroberfläche dargestellt. Zusätzlich zum reinen Alarm kann AVIOTEC Videobilder in HD-Qualität in Echtzeit übertragen – ein Pluspunkt für die Einschätzung der tatsächlichen Gefahr und für die nachträgliche Analyse.
Derzeit kombiniert Bosch klassische physikalische Algorithmen mit Methoden einer Entscheidungsfindung auf Basis Künstlicher Intelligenz (KI). In Zukunft soll der KI-Anteil weiter erhöht werden (siehe Interview), um Brände noch schneller und sicherer zu erkennen.
Fakten zur Anwendung
Mobilität und Logistik
Verarbeitendes Gewerbe
Handel
- Intelligente Sensorik
Bosch Sicherheitssysteme GmbH
Großunternehmen
Website
„KI macht die physikalische Beschreibung von Rauch überflüssig“
Sören Wittmann, Produktmanager bei Bosch Building Technologies, erläutert die Funktionsweise des KI-basierten Branderkennungssystems.
Die Basis bilden physikalische Algorithmen. Man muss sich das so vorstellen: Unsere Entwickler haben sich Videos von Bränden angesehen und analysiert. Wie entwickelt und verhält sich der Rauch? Wie sehen Flammen aus und wie bewegen sie sich? Im Anschluss haben sie Algorithmen entwickelt, die diese optischen Erscheinungsformen abbilden.
Das stimmt. Diese Algorithmen sind nur die Basis für die Entscheidung, einen Alarm auszulösen. Und diese Entscheidung trifft bei AVIOTEC die KI – genauer: maschinelles Lernen auf Basis von der Dichte des Rauchs, Turbulenzen, Geschwindigkeiten, Farbverteilung und anderen Faktoren. Die Kombination aus physikalischen Methoden und KI ist zurzeit einmalig. In Zukunft werden wir dann neben dem maschinellen Lernen noch weitere KI-Methoden einsetzen.
Ich denke vor allem an Deep Learning. Wir arbeiten mit neuronalen Netzen, die wir mit einer riesigen Menge an Daten füttern. Eine physikalische Beschreibung von Rauch und Flammen wird in Zukunft nicht mehr nötig sein – Künstliche Intelligenz kann Rauch und Flammen auf Basis der Trainingsdaten präziser erkennen als menschliche Entwickler. Die Entscheidungen des Systems werden dadurch noch schneller und sicherer.
Wir müssen die Tiefe und Struktur der neuronalen Netze so anpassen, dass die unterschiedlichen Erscheinungsformen von Rauch und Flammen erkannt werden. Das stellt auch enorme Anforderungen an die Datensätze, mit denen wir die Netze trainieren. Zum Schluss müssen wir verstehen, was die KI gelernt hat. Dafür braucht es unabhängige Test- und Validierungs-Datensätze. Und schließlich sind Prozessoren, die in unsere Kameras passen, derzeit noch nicht leistungsstark genug. Ein bisschen wird es also noch dauern.