Wenn der Mensch auf KI trifft
Ein Expertenbeitrag von Nadine Bender, Mitglied der Plattform Lernende Systeme
Stellen Sie sich vor, Sie arbeiten in der Industrieproduktion und hatten dank Ihres zahnenden Kindes eine sehr kurze Nacht. Ein Stapel Aufträge wartet darauf, bearbeitet zu werden; Gemeinsam mit Ihrem neuen Kollegen, einem Roboter mit Künstlicher Intelligenz, machen Sie sich an die Arbeit an einem Werkteil. Nach drei Stunden meldet sich der Roboter und schlägt Ihnen vor, sich eine kurze Pause zu gönnen, da er anhand Ihrer Vitalwerte auf der Smartwatch festgestellt hat, dass Sie gestresst sind und die kurze Nacht sich bemerkbar macht. Alternativ bietet er an, heute die Arbeitsgeschwindigkeit etwas anzupassen. – Was sich jetzt noch nach Utopie anhört, soll laut Forschern nicht mehr allzu ferne Zukunft sein.
Der technische Hintergrund, der solche Entwicklungen ermöglicht, ist komplex: Künstliche Intelligenz (KI) trifft auf Basis von berechneten Wahrscheinlichkeiten Annahmen und erkennt anhand dieser Muster. Je mehr Daten eine KI zur Grundlage hat, desto besser werden in der Regel die gemachten Annahmen. Technologien rund um KI kennt man heute meist schon aus dem persönlichen Alltag, oft als hilfreiche Unterstützung wie etwa die Bilderkennung für das Sortieren von Urlaubsbildern; manchmal erweisen sie sich noch als Geduldsprobe wie der ein oder andere Chat-Bot von der Hotline beim Telefonanbieter. Doch auch in den verschiedenen Arbeitswelten wie in der Produktion und beim klassischen Schreibtisch-Job bieten KI-Algorithmen künftig vielversprechende Möglichkeiten.
Im Produktionsumfeld verspricht KI, dass sich neue Aufgabenstellungen automatisieren lassen, ohne dass dafür eine aufwendige Programmierung notwendig ist. So sollen Roboter Arbeitsschritte beobachten, lernen und dann selbst ausführen können. Dadurch wird die Bedienung einfacher und Prozesse flexibler, was gerade für kleine und mittelständische Unternehmen mit einer individuelleren Produktionsgröße von Vorteil ist. Auch bei Bürotätigkeiten kann sogenannte Robot Process Automation (RPA) unliebsame und eintönige Arbeiten übernehmen und zum Beispiel regelmäßig aus SAP bestimmte Kennzahlen für Berichte ziehen.
Die Fähigkeiten von Menschen und KI ergänzen sich ideal
Durch diese technologischen Entwicklungen ändert sich die Zusammenarbeit von Mensch und Maschine stark. KI sollte nicht eingesetzt werden, um den Menschen <<nachzubauen>>, sondern sollte die Fähigkeiten des Menschen komplementär erweitern. Betrachtet man die Eigenschaften von Menschen, ist ganz klar, dass diese in den empathischen und sozialen Bereichen den Maschinen mit KI uneinholbar voraus sind. Menschliche Erfahrungen und menschliche Kreativität sind letztlich durch nichts zu ersetzen. Andererseits können Künstliche Intelligenzen besser große Datenmengen verarbeiten, Muster erkennen und dabei zum Beispiel Vorarbeit leisten, um Menschen in der Entscheidungsfindung zu unterstützen. Diese komplementären Fähigkeiten von Mensch und Maschine laden dazu ein, eine Arbeitsteilung anzustreben, bei der jeweils die Stärken und Potentiale von Mensch und Technik einfließen. Wichtig ist hierbei, dass der Mensch immer die Kontrolle in der Interaktion hat und Entscheidungen nur mit Hilfe von KI und nicht von KI getroffen werden.
Für die sich neu ergebende Aufgaben– und Rollenteilung sind konkrete Kriterien erforderlich, die Ansatzpunkte für eine menschenzentrierte Gestaltung der Mensch-Maschine-Interaktion bieten. Mit Hilfe dieser soll die Einführung von KI-Systemen in der Arbeitswelt erleichtert werden. Konkret soll dadurch die Akzeptanz der Beschäftigten gewonnen und die Passung auf den jeweiligen Arbeitsprozess verbessert werden. Die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte Plattform Lernende Systeme hat in der Arbeitsgruppe für Arbeit/Qualifikation und Mensch-Maschine-Interaktion ein Whitepaper zu den erforderlichen Kriterien für die Zusammenarbeit von Mensch und KI erarbeitet. Diese zwölf Kriterien lassen sich wie in Abbildung 1 zu sehen in vier Cluster zusammenfassen.
In Cluster 1 steht die Sicherheit der KI und der Schutz des Einzelnen im Fokus. Nur wenn mögliche Risiken und negative Folgen minimiert werden, steigt die Akzeptanz bei den Nutzern. Die Förderung der Gesundheit der Beschäftigten spielt eine wichtige Rolle im Arbeits- und Gesundheitsschutz, um negative physische oder psychische Belastungen zu vermeiden. Zu Letzteren zählen etwa Ängste vor einer ungerechtfertigten Leistungsmessung und (damit einhergehender) Diskriminierung, die entstehen können, da für KI das Sammeln von Daten notwendig ist.
Im zweiten Cluster werden die zentralen Gestaltungsfelder definiert, um Verlässlichkeit in den Systemen aufzubauen und die Vertrauenswürdigkeit und Akzeptanz der KI zu manifestieren. Dabei ist es besonders wichtig, dass Unternehmen die KI entwickeln und verwenden, eine hohe Qualität der verfügbaren Daten sicherstellen und so eine Transparenz und Erklärbarkeit der Ergebnisse der KI gewährleisten. Ist die Datenqualität zu gering oder gibt es verzerrte Datensätze, kann es zu Fehlinterpretationen und Diskriminierung kommen. Für die Qualität der KI muss das Unternehmen dann auch Verantwortung und Haftung übernehmen.
Das dritte Cluster wendet sich der bereits angesprochenen neuen Arbeitsteilung zwischen Mensch und Maschine zu. Diese sollte möglichst <<sinnvoll>> sein und die Beschäftigten physisch oder psychisch bei ihrer Arbeit entlasten. Dabei werden Fragen zur Handlungsträgerschaft und Situationskontrolle diskutiert und bemerkt, dass das Aufgabenprofil des Menschen auf dessen Kompetenzen ausgerichtet bleiben muss. Im Idealfall passt sich das KI-System bedarfsgerecht an den Arbeitsalltag der Nutzer an und verbessert so wiederum das psychische und physische Empfinden der Menschen.
Im vierten und letzten Cluster steht im Mittelpunkt, dass KI-Systeme genutzt werden, um Beschäftigten Zugang zu neuen Aufgabenbereichen und mehr Autonomie zu geben. Dabei ist das Streben nach sinnvoller, motivierender und gesundheits- sowie persönlichkeitsfördernder Arbeit das oberste Ziel (Huchler et al., 2020: S.20). Im Idealfall lernen Mensch und Maschine gegenseitig voneinander und verwerten das Gelernte jeweils in ihren weiteren Aufgaben. Durch die richtigen Kommunikationswege und -modi zwischen Mensch und Maschine, werden Daten der KI-Systeme kontextualisiert und somit erst in konkreten Situationen anwendbar.
Das Hauptziel der Gestaltungskriterien ist die Verbesserung der psychischen und physischen Gesundheit der Nutzer von KI-Systemen. Im EU-Projekt MindBot (01/2020-12/22) wird genau an dieser Aufgabe geforscht. Bei einer Ausgangsanalyse wird, sobald es die Corona-Situation zulässt, in sechs Unternehmen die Interaktion zwischen Cobots und Werkern untersucht. Bei einem Cobot (zusammengesetzt aus collaborative und robot) handelt es sich um einen Roboter, welcher viel direkter mit einem Menschen zusammenarbeiten kann als ein klassischer Roboter. Ein Cobot kann dank seiner sensitiven Achsen ohne Sicherheitszaun in direkter Nähe mit dem Menschen arbeiten und nimmt dabei Rücksicht auf den Kollegen Menschen. Wird dabei gemeinsam an einem Werkstück gearbeitet und sich ein Arbeitsraum geteilt, wird von kollaborativer oder kooperativer Zusammenarbeit gesprochen. Die Auswirkungen dieser direkten Zusammenarbeit auf die psychische Gesundheit der Menschen soll in einem ersten Schritt im Projekt MindBot mit qualitativen Methoden und Datenanalysen einer Smartwatch erforscht werden. Anschließend entwickeln Forscher des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz und der Universität Augsburg eine Künstliche Intelligenz in Form eines Avatars. In einer dritten Phase wird dieser Avatar durch italienische Forscher auf dem Cobot implementiert, so dass nun der Cobot individualisiert mit dem Werker zusammenarbeiten kann. Der Cobot kann dann also erkennen, ob der Mensch ausgeruht, gestresst, gelangweilt oder überfordert ist und seine Arbeitsschritte wie in unserem Beispiel anfangs anpassen.
Expertenbeitrag erschienen in:
Personal Schweiz
Dezember 2020