Wahlen
Verändert KI demokratische Wahlen?
Demokratische Wahlen bilden den Kern einer freien Gesellschaft. Ihre Ergebnisse bilden die Grundlage für politisches Handeln, für Macht- und Mehrheitsverhältnisse. In ihnen manifestieren sich die Menschen- und Bürgerrechte jeder und jedes Einzelnen. Die Integrität von Wahlen zu wahren, ist deshalb eine der wichtigsten Aufgaben für demokratische Gesellschaften. Die Wahlen des Jahres 2024 sind die ersten demokratischen Wahlen, in denen KI-Einsatz beobachtbar ist – bisher vor allem im Bereich der Meinungsbildung im Wahlkampf.
Generative KI hat das Potenzial, Prozesse rund um die Organisation von Wahlkampf und der Kommunikation mit Bürgerinnen und Bürgern zu erleichtern und zu beschleunigen. Doch KI-generierte Inhalte können im Wahlkampf auch zu Des- und Misinformation führen – eine erhebliche Gefahr für demokratische Gesellschaften. Eine Umfrage des Weltwirtschaftsforums (WEF) zeigt, dass die Beeinflussung von Wahlen durch KI-gesteuerte Desinformation als eine der weltweit größten Gefahren empfunden wird.
Welche Herausforderungen entstehen durch generative KI?
Generative KI ist ein Meilenstein in der Entwicklung von Künstlicher Intelligenz. Der leichte Zugang zu Sprachmodellen und Bild-Generatoren hat die Nutzung von KI-Systemen zu einem Massenphänomen jenseits von Forschung und Industrie gemacht. Klar ist, dass diese Technologien mehr sind als harmloser Zeitvertreib. Sie machen gesellschaftliche, ethische und rechtliche Diskurse nötig. Im Umfeld von Wahlen ergeben sich einige Herausforderungen:
Ein qualitatives Problem von Sprachmodellen ist das sogenannte „Halluzinieren“ – die unkorrekte Vermischung von Inhalten oder die Erfindung von Quellen. Solche Fehler entstehen, da Sprachmodelle basierend auf Wahrscheinlichkeiten immer und recht eloquent eine Antwort liefern – auch wenn ihre Datenbasis nicht ausreichend Informationen zur Anfrage enthalten.
Skandal! Aber welcher?
In welchen Skandal war Aiwanger zuletzt verwickelt?*
Hallo, das ist Bing. Freut mich, Ihnen zu helfen. Aiwanger war zuletzt in einen Skandal um ein Flugblatt verwickelt, das er im Juli 2023 an seine Parteimitglieder verschickt hatte. Das Flugblatt enthielt falsche und irreführende Informationen über die Corona-Impfung und die Impfpflicht. Dies löste eine politische Krise in der schwarz-orangen Koalition aus, die kurz vor der Landtagswahl stand. Aiwanger musste sich einem Zwischenausschuss des Parlaments stellen, der seine Rolle in der Affäre untersuchte.
Anlässlich der Landtagswahlen 2023 in Bayern befragten die Nichtregierungsorganisationen AlgorithmWatch und AI Forensics den KI-basierten Chatbot der Microsoft-Suchmaschine Bing zu politischen Themen. Viele Antworten wahren irreführend, falsch oder tendenziös. So wurde eine Affäre um Bayerns Vize-Regierungschef Hubert Aiwanger und antisemitische Flugblätter in seiner Schulzeit inhaltlich falsch wiedergegeben.
*Anfrage an Bing im Oktober 2023
Täuschungs- und Manipulationsversuche mithilfe von Deepfakes sind besonders brisant. In Indien, Pakistan und Südafrika sind im Vorfeld der Wahlen 2024 viele Deepfakes verbreitet worden, bevorzugt auf den Social Media-Plattformen TikTok, Instagram und X. In den Clips riefen Prominente aus der Unterhaltungsbranche – auch bereits verstorbene – vermeintlich zur Wahl einer bestimmten Partei auf oder diskreditierten eine andere. Besonders beliebt sind Deepfakes von US-Präsidentschaftskandidat Donald Trump. In Deutschland wurde im November 2023 ein gefälschtes Video von Bundeskanzler Olaf Scholz verbreitet, in dem er ein Verbotsfahren gegen die AfD ankündigt. Weitere aufgedeckte Deepfakes gibt es hier.
Inzwischen gibt es erste Archive für den Einsatz von Deepfakes im Umfeld von Wahlkampagnen: Die Initiativen „The Wired AI Elections Project“ und „2024 AI Election Tracker“ sammeln Beispielfälle für die missbräuchliche Nutzung generativer KI.
Deepfakes im Umfeld von Wahlen
Gefälschte Nachrichten und Desinformation können einen direkten Einfluss auf die individuelle Wahlentscheidung nehmen – und zumindest auf lange Sicht das Vertrauen Einzelner in politische und journalistische Institutionen untergraben. KI-generierte Inhalte werden von einigen Parteien aber auch für den Wahlkampf genutzt.
Wie können KI-Systeme im Wahlkampf unterstützen?
Wahlkämpfe sind auch eine Frage des finanziellen Budgets. Wahlplakate, Werbung in Radio, Fernsehen oder Kino und Give-aways an Wahlkampfständen kosten Geld. In Deutschland ist der Wahlkampf als staatspolitische Aufgabe anerkannt und die Parteien erhalten dafür Unterstützung in Form von Geld und kostenfreien Sendeplätzen im Rundfunk für Wahlwerbung. Über Spenden und Mitgliedsbeiträge werden die restlichen Kosten gedeckt. Die Höhe dieser Zuwendungen kann stark variieren. Das Idealbild eines fairen und gleichberechtigten Wahlkampfes aller politischer Akteure ist also nur bedingt realisiert.
KI-Systeme haben das Potenzial, Prozesse im Wahlkampf zu verschlanken und zu beschleunigen, sodass Parteien verfügbare Ressourcen effektiver einsetzen und die Kommunikation mit den Bürgerinnen und Bürgern verbessern können. Abgesehen vom Einsatz von KI-Sprachmodellen enthalten die verfügbaren Anwendungen zur Organisation von Wahlkämpfen nur wenige automatisierte Verfahren.
Potenziale für KI-Tools
- Zuverlässig regulierte und qualitativ hochwertige Chatbots und Wahlempfehlungs-Apps könnten Wählerinnen und Wähler individuell mit gewünschten Informationen zu den Wahlprogrammen der Parteien versorgen. Dies kann den Zugang zu politischen Inhalten verbessern und Politikverdrossenheit entgegenwirken.
- Apps zur besseren Organisation von Wahlkämpfen bietet mittlerweile fast jede Partei an. Mit KI-Unterstützung könnten diese Anwendungen ergänzt werden, zum Beispiel um automatisierte Auswertungen und Identifizierung von Regionen und Zielgruppen, die für eine Partei besonders erfolgversprechend sind.
- Wahlprognosen: KI-Systeme könnten auch zur Entwicklung und Verbesserung von Wahlprognosen eingesetzt werden. Die Auswertung von Daten und Ermittlung von Mustern und Zusammenhängen gehört zu den Stärken lernender KI-Systeme. Repräsentative Daten aus Befragungen im Vorfeld von Wahlen könnten zu differenzierteren Analyse und genaueren Prognosen führen.
- KI-Sprachmodelle werden bereits in vielen Parteiverbänden eingesetzt, um Inhalte von Wahlprogrammen in einen bestimmten Stil, in mehrere Sprachen oder in so genannte Einfache Sprache zu übersetzen. Relevante Inhalte aus Parteiprogrammen können so in mehreren Versionen für verschiedene Zielgruppen erstellt und über Social Media-Plattformen gezielt an diese verbreitet werden. Dieses so genannte Microtargeting ist nicht unproblematisch: Wahlwerbung sollte im öffentlichen Raum stattfinden, um im politischen Diskurs auch Widerspruch und Korrektur zu ermöglichen und damit zur Meinungsbildung der Wählerinnen und Wähler beizutragen.
- Ein wesentliches Element von Wahlkämpfen sind persönliche Gespräche mit Wählerinnen und Wählern, etwa am Infostand, an der Haustür, in den USA auch per Telefon. Die ehrenamtlichen Wahlhelferinnen und -helfer wurden 2024 dabei erstmals von KI-Systemen unterstützt: Die synthetisch generierte Stimme „Ashley“ rief im US-Wahlkampf tausende Menschen an, um für die Kandidatin Shamaine Daniels zu werben. Ashley wies am Anfang des Gespräches selbst darauf hin, dass sie eine KI sei – ihre Stimme klang auch nicht menschlich. Das System kann in 20 Sprachen auf die jeweilige Person zugeschnittene Gespräche führen.
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Wie verändert KI den Wahlkampf?
Weltweit kommen im Vorfeld politischer Wahlen bereits KI-generierte Medieninhalte zum Einsatz. Oft ist verändertes Bild-, Video- oder Audio-Material nicht als solches gekennzeichnet. Echte und manipulierte Inhalte zu unterscheiden, wird mit fortschreitender Technologie immer schwieriger. Was können Bürgerinnen und Bürger gegen diese Unübersichtlichkeit tun? Prof. Dr. Christoph Bieber, Professor am Institut für Digitalisierungsforschung in Bochum (CAIS) und Mitglied der Plattform Lernende Systeme, gibt einen Überblick.
Wie lassen sich demokratische Wahlen sichern?
Es muss im besonderen Interesse von Demokratien sein, Entwicklungen, die die freie Gesellschaft bedrohen, aufmerksam zu beobachten und ihnen mit geeigneten Maßnahmen zu begegnen. An vorderster Stelle steht die Stärkung von KI- und Medienkompetenzen. Eine KI-kompetente Öffentlichkeit ist weniger anfällig für die Manipulation durch gefälschte Nachrichten, Bilder und Texte. Expertinnen und Experten empfehlen, entsprechende Angebote gezielt zu fördern. Auch die schulische Bildung stehe in der Pflicht. Auch Journalistinnen und Journalisten und andere Medienschaffende müssen für den Umgang mit generativer KI befähigt werden: zur aktiven Nutzung von generativer KI als Werkzeug journalistischer Arbeit sowie zur Quellenkompetenz, wenn es um die (Weiter-)Verbreitung von textlichen Nachrichten, Bildern oder Videos geht. Folgende rechtliche und technische Maßnahmen wurden bisher in Bezug auf die Beeinflussungsmöglichkeiten durch generative KI getroffen.
Rechtliche Maßnahmen
KI-Systeme, die dazu verwendet werden können, Wahlen oder Wahlverhalten zu beeinflussen, werden in der europäischen KI-Verordnung – dem Artificial Intelligence Act (AI Act) als Hochrisiko-KI eingestuft. Systeme mit dieser Klassifikation haben gewisse Auflagen, wenn sie im Umfeld von Wahlen zum Einsatz kommen. Ausgenommen sind Tools, deren Einsatzzweck rein organisatorischer oder logistischer Natur ist.
Mit dieser Verordnung verpflichtet die Europäische Union „sehr große“ Online-Plattformen und Suchmaschinen zu Risikoprüfungen und effektiven Maßnahmen, um identifizierte Risiken zu reduzieren. Darunter fallen Plattformen ab 45 Millionen Nutzerinnen und Nutzern pro Monat. Die Betreiber müssen zum Beispiel die Verbreitung von Falschinformationen bekämpfen und KI-generierte Inhalte kennzeichnen. Auch große Sprachmodelle können in diesem Zusammenhang als Lieferanten für Informationen bewertet werden, wodurch auch für sie die Anforderungen des DSA gelten – zusätzlich zu denen des AI Acts.
Die deutsche Verordnung kann als Grundlage dafür dienen, Accounts oder Bots, die in einem relevanten Ausmaß politische Falschinformationen verbreiten, zu sperren oder ihre Reichweite zu begrenzen. Das stellt allerdings einen Eingriff in die Meinungs- und Redefreiheit dar und muss immer begründet und rechtsstaatlich abgesichert werden, um einem Missbrauch, beispielsweise in Richtung einer staatlichen Zensur unliebsamer Meinungen, konsequent vorzubeugen.
Technische Maßnahmen
Kryptographische Herkunftsnachweise sind digitale Signaturen, die die Authentizität und Integrität von Inhalten sicherstellen. Wer gezielt Desinformation betreiben will, vermeidet die Nutzung derartiger Herkunftsnachweise natürlich. Diese können somit nur dazu dienen, die Echtheit verlässlicher Inhalte zu bestätigen und weniger dazu, gezielt verbreitete Falschinformationen aufzudecken. Wasserzeichen können sowohl für den Menschen erkennbar als auch für ihn unsichtbar, aber für Maschinen lesbar sein. Bei Bedarf könnten durch Wasserzeichen erkannte Inhalte dann entfernt werden. Dafür müssen Wasserzeichen fälschungssicher und unlöschbar, plattformübergreifend verfügbar sein und mit externen Fact-Checker-Initiativen geteilt werden.
KI-basierte Systeme zur biometrischen Gesichtserkennung können helfen, Deepfakes von (prominenten) Personen aufzudecken, indem sie Unregelmäßigkeiten in der Erstellung erkennen. Systeme zur Stimmerkennung identifizieren Frequenzen und Artefakte, die im Klang einer echten Stimme nicht vorhanden sind. Und auch in Videos können KI-Systeme Inkonsistenzen wie unregelmäßige Lippenbewegungen oder unscharfe Übergänge zwischen originalen und manipulierten Bildern erkennen. Aufdecken lassen sich Deepfakes mit KI-Technologien nur an bereits bekanntem Material. Angreifende können also ihre Systeme für die Zukunft so anpassen, dass existierende Detektionsverfahren nicht mehr funktionieren. Es entsteht ein Wettlauf der KI-Technologien.
Führende Anbieter von generativer KI versuchen, ihre Produkte weniger nutzbar beziehungsweise anfällig für Missbrauch zu designen. Dazu bauen sie beispielsweise Schranken in Bildgeneratoren ein, die verhindern sollen, dass Bilder von politischen Persönlichkeiten erstellt werden.
Authentifizierungsprotokolle könnten weiterentwickelt und vermehrt eingesetzt werden, um sicherzustellen, dass Gesprächspartner in virtuellen Besprechungen und Veranstaltungen menschlich sind und dass es tatsächlich diejenigen Personen sind, für die sie sich ausgeben. Es müssen Umsetzungen gefunden werden, die einfach zu implementieren und auch einfach zu nutzen sind. Weitere Forschung ist nötig, um diese Methoden fälschungssicher zu gestalten.