
Frau Wilkens, was bedeutet die Umsetzung von Artikel 4 des AI Acts konkret für Unternehmen?
Uta Wilkens: KI-Kompetenz muss kontextangemessen und zielgruppenspezifisch aufgebaut und weiterentwickelt werden. Das ist eine wichtige Maßgabe für Unternehmen. Was das inhaltlich genau bedeutet, durch welchen Maßstab ausreichende KI-Kompetenz angezeigt wird, welche Lern- und Vermittlungsformen (formales oder informelles Lernen) berücksichtigungsfähig sind und wer zur Vermittlung von KI-Kompetenz legitimiert ist, bleibt aktuell noch sehr vage. Erst einmal bedeutet es für Unternehmen, dass das Thema KI-Kompetenz im Zusammenhang mit der Einführung und Nutzung von KI-Systemen bewertet und eine dahingehende Verantwortung erkennbar werden muss. Es ist also etwas zu tun.
Welche Schulungsinhalte sollten den Beschäftigten vermittelt werden?
Uta Wilkens: Man kann hier zwischen Können und Anwenderwissen, Hintergrundwissen und Beurteilungsfähigkeit hinsichtlich der Wirkungen und Konsequenzen unterscheiden. Blickt man auf aktuelle Schulungsinhalte, dann geht es den Betrieben um die effektive Nutzung einer KI für bestimmte Arbeitsbereiche, z.B. wie man bei generativer KI durch gute Prompts zu hilfreichen Ergebnissen kommt oder die Halluzination erkennen und eingrenzen kann. Beim technischen Know-how geht es über das Anwenderwissen hinaus auch um das Hintergrundwissen, um ein Grundverständnis über die Funktionsweisen von KI-Algorithmen, Maschinellen Lernverfahren und großen Sprachmodellen auszubilden. Zum Hintergrundwissen zählen auch Kenntnisse über die gesetzlichen Vorgaben und ethischen Prinzipien im Umgang mit KI.
Aus wissenschaftlicher Sicht und der Befassung mit KI-Kompetenz ist all das wichtig, greift aber noch zu kurz, denn es geht ja um mehr als das instrumentelle Handling eines KI-Tools. Es geht um das Verständnis welche Wirkung durch eine KI in der angewendeten Domäne erzeugt wird und wie sich der KI-Einsatz auf das eigene Domänenwissen auswirkt. Zu einer hohen KI-Kompetenz zählt dementsprechend, dass Nutzerinnen und Nutzer Ansätze kennen, durch die sie kritisches Mitdenken beim KI-Einsatz nicht reduzieren, sondern steigern. Die Entwicklerinnen und Entwickler von KI müssen wissen, für welche Organisationsziele die KI eingesetzt wird und wie vor diesem Hintergrund die verwendeten Daten einzuordnen sind. Das Zusammenspiel von Technik- und Domänenwissen ist ein zentraler Punkt. Diese Facetten sollten nicht getrennt gehandhabt werden. Durch die Verzahnung der KI-Kompetenz mit dem Domänenwissen gelingt es schließlich, dass der Kompetenzaufbau kontext- und zielgruppenspezifisch erfolgt.
Für Führungskräfte, die über den Einsatz von KI entscheiden, und für Arbeitnehmervertretungen, die diese Entscheidungen mitbestimmen, gilt es zudem wichtige Rahmenbedingungen zu berücksichtigen. So sind etwa verbotene Praktiken in Artikel 5 EU AI Act geregelt. Außerdem stellen sich Fragen wie: Welche Auswirkungen hat die KI auf die einzelnen Tätigkeiten der Mitarbeitenden, beispielsweise hinsichtlich ihrer Rolle? Welche Konsequenzen ergeben sich für die Arbeitsorganisation? Wie verändern sich Personaleinsatzszenarien?
Das Kompetenzzentrum HUMAINE erarbeitet hierzu beispielsweise Methoden, die Organisationen dabei unterstützen, künstliche Intelligenz in Arbeitsprozessen humanzentriert zu entwickeln, zu implementieren und zu nutzen. Diese Methoden sind über die HUMAINE Toolbox abrufbereit. Zudem bietet das Kompetenzzentrum Schulungsinfrastruktur speziell für den industriellen Mittelstand, macht die Mensch-KI-Rollenentwicklung in dafür eingerichteten Trainingslabors erlebbar und unterbreitet Beratungsangebote zu unterschiedlichen Themen der KI-Ethik. Hierzu zählen auch eine Musterbetriebsvereinbarung oder ein Muster für einen KI-Kodex.
Welche Herausforderungen ergeben sich in der Umsetzung?
Uta Wilkens: Es gibt bereits eine Vielzahl von Anbietern für Schulungen - von institutionellen Anbietern wie etwa der IHK, oder Einrichtungen wie HUMAINE bis hin zu privaten Anbietern; von hochpreisigen Präsenzschulung bis hin zu Webinaren, die Inhalte mit minimalem Zeitaufwand vermitteln. Die Auswahl ist umfassend und es bleibt die Herausforderung, basierend auf dem individuellen Themenzuschnitt für spezifische Anwendungen und Personenkreise, die richtigen Schulungen auszuwählen.
Bislang sind meiner Meinung nach ethische Themen rund um die Nutzung von KI eher unterrepräsentiert. Mitarbeitende fühlen sich unseren Erfahrungsaustauschen nach gerade in dieser Hinsicht nicht genug geschult. Hier herrscht noch Nachholbedarf. Zudem müsste der zielgruppenspezifische Zuschnitt von Bildungsinhalten noch wachsen, um den tatsächlichen individuellen Bedarf abzudecken. Und schließlich fehlen bislang konkrete Kenntnisse über die Lernerfolgswirkung bisheriger Kompetenzentwicklungsmaßnahmen.
Die Antworten auf die Interviewfragen wurden gemeinsam erstellt durch Prof. Dr. Uta Wilkens und Dr. Antonia Weirich, Projektkoordinatorin bei HUMAINE
Das Interview ist für eine redaktionelle Verwendung freigegeben (bei Nennung der Quelle © Plattform Lernende Systeme).