3 Fragen an

Frank Kirchner

Inhaber des Lehrstuhls für Robotik an der Universität Bremen, Wissenschaftlicher Direktor des Robotics Innovation Center (DFKI GmbH) und Leiter der Arbeitsgruppe Lebensfeindliche Umgebungen der Plattform Lernende Systeme.

3 Fragen an Frank Kirchner

KI versus Corona: Wie intelligente Robotik unterstützen kann

Methoden der Künstlichen Intelligenz können auf vielfältige Weise dazu beitragen, aktuelle Herausforderungen der Corona-Pandemie zu bewältigen. Muster in großen Datenmengen zu erkennen und damit die Grundlage für Entscheidungen zu liefern, ist ein wichtiges Anwendungsfeld. Ein anderes sind intelligente Roboter, die stark beanspruchte oder fehlende Fachkräfte in Krankenhäusern, in der Landwirtschaft oder im Energiesektor unterstützen. Einen Überblick über potenzielle Einsatzmöglichkeiten, praktische Beschränkungen und wichtige Forschungsschwerpunkte liefert Prof. Dr. Dr. h.c. Frank Kirchner, Inhaber des Lehrstuhls für Robotik an der Universität Bremen und Wissenschaftlicher Direktor des Robotics Innovation Center am Bremer Standort des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz (DFKI). In der Plattform Lernende Systeme leitet er die Arbeitsgruppe Lebensfeindliche Umgebungen.

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Wo liegen grundsätzliche Stärken von Künstlicher Intelligenz im Kampf gegen die Corona-Pandemie?

Frank Kirchner: Die KI bietet verschiedene Möglichkeiten beim Einsatz gegen Pandemien. Offensichtlich ist der Einsatz bei Modellrechnungen zur Verbreitung und Entwicklung der Infektionslage. Lernende Systeme könnten hier insbesondere bei der Vorhersage der Nützlichkeit bestimmter Gegenmaßnahmen wie etwa Kontaktbeschränkungen eingesetzt werden und Korrelationen aufdecken, die klassische Modellierungsverfahren nicht erkennen können. Voraussetzung dafür wäre jedoch die Verfügbarkeit von umfassenden Informationen über Bewegungs- und Kontaktverhalten der Bürgerinnen und Bürger sowie zur Bevölkerungsstruktur in bestimmten Gebieten eines Landes bzw. einer Stadt. Diese Daten stehen derzeit so nicht zur Verfügung – und werden wahrscheinlich auch künftig aus Gründen des Datenschutzes nicht in dieser massiven Form bereitstehen.

Es offenbart sich hierbei ein Dilemma, das gerade bei Pandemien auftritt: Einerseits ist eine dichte und qualitativ hochwertige Informationslage ein entscheidender Faktor zur Eingrenzung, andererseits ist diese Voraussetzung nur durch Einschränkungen bzw. Beschränkungen der individuellen Privatsphäre realisierbar. Aus wissenschaftlicher Sicht ist erkennbar, dass KI-Methoden nutzbringend sein könnten. Ihr Einsatz bzw. die Schaffung der notwendigen Voraussetzungen sind jedoch politische Entscheidungen, die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nicht zu treffen haben.

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In welchen Bereichen kann intelligente Robotik bereits heute unterstützen?

Frank Kirchner: Durch intelligente Robotik könnte aus technischer Sicht bereits ein deutlich größerer Grad an Automatisierung realisiert sein, als es der Fall ist – und in der Pandemie zu großen Entlastungen des dringend benötigten Personals führen. Ein Beispiel dafür sind Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen, wo intelligente Roboter Fachkräfte bei der Reinigung, dem Verteilen von Essen, beim Desinfizieren oder dem Hin- und Herschieben von Betten entlasten könnten. In der Landwirtschaft könnten intelligente Feldroboter Arbeiten verrichten, die Erntehelfer aus anderen Ländern erledigen – sei es bei der Ernte oder dem Ausbringen von Saatgut bei Einzelpflanzen wie Erdbeeren oder Spargel. Jetzt, wo die Erntehelfer nicht mehr problemlos einreisen können, lässt sich das große Entlastungspotenzial von KI-basierten Robotern gut erkennen. Ein weiterer Bereich ist die Energieversorgung. Hier ließen sich durch den Einsatz von intelligenten Inspektionsrobotern wichtige Infrastrukturen auch ohne menschliches Personal betreiben und überwachen. Das gilt etwa für Ölförderanlagen, die unter Umständen geräumt werden müssen, wenn vor Ort eine Infektion auftritt. Aber auch im Bereich der erneuerbaren Energien – etwa bei Offshore-Windparks – ist eine permanente Überwachung nötig, die derzeit Fachkräfte leisten müssen. Entlastung könnte hier eine intelligente Automatisierung bringen – beispielsweise durch (teil)autonome Unterwasserroboter, mit denen eine Kommunikation im Notfall sogar vom Homeoffice aus möglich ist.

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Welche Entwicklungen in der KI sind nötig, um bei zukünftigen Pandemien zu helfen?

Frank Kirchner: Insbesondere im Bereich des maschinellen Lernens sehe ich die Notwendigkeit, stärker zu erforschen, wie Lernen mit wenigen Daten möglich ist. Die heute intensiv diskutierten Verfahren des maschinellen Lernens ziehen ihre Stärke aus massiven Datenmengen. Dies ist eine Abhängigkeit und führt einerseits zwar zu großen Erfolgen, birgt jedoch auch erhebliche Risiken. Der Umgang mit diesen Daten und der Einsatz bei Verfahren des maschinellen Lernens ist kritisch – auch deshalb, weil unsere Expertinnen und Experten für maschinelles Lernen zwar in den Algorithmen geschult sind, aber typischerweise keine Spezialisten in der Erhebung und Auswahl von Daten selbst sind. Die Naturwissenschaften machen uns hier sehr gut vor, wie wichtig die Methoden zur Datenerhebung sind. In naturwissenschaftlichen Veröffentlichungen werden typischerweise 50 Prozent einer Studie auf die Erklärung der Methoden zur Datenerhebung (Experimentdesign und Durchführung) verwendet. Nur wenn diese von der wissenschaftlichen Community akzeptiert wird, werden auch die Ergebnisse akzeptiert. In der IT-Technik haben wir diesen naturwissenschaftlichen Ansatz leider nicht. 

Andererseits gibt es aber auch lokale Abhängigkeiten bei der Anwendung von maschinellem Lernen, da etwa aus gesellschaftlichen oder gesetzlichen Gründen bestimmte Daten nicht erhoben werden können. Sichtbar wird diese beispielsweise durch die Vorteile vieler chinesischer KI-Unternehmen, die auf sehr große Datenmengen zugreifen können, die uns in Europa so nicht zur Verfügung stehen. Hier ist die Datengetriebenheit der heutigen Anwendungen des maschinellen Lernens auch strukturell schwierig. Wir müssen also unser Augenmerk als Forscher auf die Entwicklung von Systemen legen, die auch mit wenigen Daten ähnlich gute Ergebnisse liefern. Die Lösung liegt in der Forschung an sogenannten hybriden und langzeitautonomen KI-Systemen und Robotern.

Konkrete Fallbeispiele, wie KI heute und künftig zur Bekämpfung der Corona-Pandemie beitragen kann, finden Sie auf unserer Sonderseite zum Corona-Virus.

Das Interview ist für eine redaktionelle Verwendung freigegeben (bei Nennung der Quelle © Plattform Lernende Systeme).

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