3 Fragen an

Christoph Schmidt

Präsident des RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung und Mitglied der Plattform Lernende Systeme

Fachkräftemangel und demografischer Wandel: „KI ist ein wichtiger Teil der Lösung“

Der Fachkräftemangel schlägt sich bereits heute in vielen Branchen und Berufen nieder. Mit dem Renteneintritt der Babyboomer wird sich die Situation noch verschärfen. Künstliche Intelligenz (KI) kann den Fachkräfteengpässen entgegenwirken. Mithilfe der Technologie lassen sich Beschäftigte entlasten und stille Reserven für den Arbeitsmarkt mobilisieren. Wie genau das gelingt und welche Herausforderungen mit dem KI-Einsatz in Unternehmen und Verwaltung verbunden sind, erklärt Christoph Schmidt im Interview. Er ist Präsident des RWI Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung und Mitglied der Arbeitsgruppe Arbeit/Qualifikation, Mensch-Maschine-Interaktion der Plattform Lernende Systeme.

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Herr Schmidt, inwiefern kann KI zur Fachkräftesicherung beitragen?

Christoph Schmidt: Nicht nur schrumpft in Deutschland aufgrund des demographischen Wandels zunehmend das Potenzial an Erwerbspersonen, es wird offenbar auch immer schwerer, junge Menschen für eine berufliche Ausbildung zu begeistern. Dies beeinträchtigt die Anwerbung von Fachkräften, Aufträge bleiben unerledigt und in den Betrieben kann Erfahrungswissen nur unzureichend an die nächste Generation weitergegeben werden. Diese Problemlage wird durch den rapiden Wandel in der Arbeitswelt noch verschärft, da Digitalisierung und Automatisierung in den unterschiedlichsten Bereichen zwar nicht zu einer insgesamt geringeren Arbeitsnachfrage führen, aber nach völlig neuen Kompetenzen verlangen.

KI kann dabei unterstützen, bislang ungenutzte Arbeitsmarktpotenziale zu heben, etwa durch das zielgenaue Matching vorhandener Kompetenzen zu Stellenprofilen oder durch die maßgeschneiderte Identifikation von Weiterbildungsbedarfen. In erster Linie ist dabei an derzeit Erwerbslose zu denken, aber auch an Menschen mit Beeinträchtigungen sowie ältere Menschen. Ebenso kann KI bei der Integration von Zugewanderten in den Arbeitsmarkt helfen und die Weiterbildung von bereits Beschäftigten unterstützen.

Am Arbeitsplatz kann die KI menschliche Tätigkeiten ergänzen und tendenziell eher eintönig und wenig sinnstiftende Routinen ersetzen. Damit dürfte es gelingen, die Fähigkeit zur Teilhabe am Arbeitsleben länger zu erhalten, Freiraum für kreative und sinnstiftende Aufgaben zu schaffen und gleichzeitig das Produktivitätswachstum zu sichern.

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Welche Risiken des KI-Einsatzes in Unternehmen und Verwaltung sehen Sie?

Christoph Schmidt: Das bei weitem größte Risiko sehe ich darin, dass wir die Digitalisierung und Automatisierung der Arbeitswelt und anderer Lebensbereiche nicht rasch genug umarmen werden, um im globalen Wettbewerb der Volkswirtschaften mithalten zu können. Denn für uns zentrale Werte wie Freiheit und Demokratie werden wir nur auf Basis wirtschaftlicher Stärke bewahren können. KI wird zwar menschliche Fähigkeiten wie Empathie und Kreativität aller Voraussicht nach nie ersetzen können. Aber es wäre äußerst töricht, darauf zu verzichten, sie als wichtigen Teil der Lösung für die Herausforderungen zu verstehen, die uns im heimischen Kontext insbesondere der demographische Wandel und im globalen Kontext beispielsweise der Klimawandel liefert.

Um insbesondere die direkt von Veränderungen Betroffenen mitzunehmen, müssen ihnen sowohl Unternehmen als auch der Staat passende Angebote zur Weiterbildung und die Perspektive auf eine fortgeführte Teilhabe am Arbeitsmarkt geben. Zudem wird es ohne die Bereitschaft der Beschäftigten, sich proaktiv mit neuen Arbeitsrollen zu befassen und sich selbst weiterzuentwickeln, nicht funktionieren. Es wird dabei sehr auf die Gestaltung der Transformation ankommen. Eine reine Arbeitsverdichtung oder die (gefühlte) Entmündigung durch Entscheidungsvorgaben der KI gilt es zu verhindern. Dabei sind zum einen die (Persönlichkeits-)Rechte von Beschäftigten zu schützen. Zum anderen gilt es, über die Leistungsgrenzen der jeweiligen Systeme aufzuklären und so ein übertriebenes Vertrauen in die KI zu vermeiden.

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Ist Deutschland für den KI-Wandel auf dem Arbeitsmarkt bereit?

Christoph Schmidt: Aktuell ist Deutschland eher schlecht auf den anstehenden Wandel in der Arbeitswelt vorbereitet. So ist es mehr als überfällig, bereits in der Schule mit der Vermittlung von KI-Kompetenzen zu beginnen, damit die Bildungsinhalte in Ausbildungsbetrieben und Hochschulen darauf aufsetzen können. Hier ist nicht zuletzt das Lehrpersonal in der Verantwortung, sich inhaltlich weiterzuentwickeln. Dabei kann KI zur Modernisierung des Bildungssystems direkt beitragen, indem sie dort das Lehren und das Lernen unterstützt.

Volkswirtschaften mit weitaus geringeren öffentlichen Mitteln als sie in Deutschland jährlich verausgabt werden, sind uns bei der Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung deutlich voraus. Es wäre dringend angezeigt, den Aufbau der Daten- und Recheninfrastrukturen stärker zu priorisieren und vor allem die öffentliche Verwaltung durch ein offensives Umarmen der Digitalisierung und insbesondere der KI agiler und effizienter zu machen. Dazu ist es dringend nötig, in der öffentlichen Verwaltung selbst KI-Kompetenzen aufzubauen.

Die deutsche Wirtschaft konnte bislang eine besondere Stärke aus ihrem unternehmerischen Mittelstand ziehen. Doch nun drohen gerade kleine und mittlere Unternehmen bei der Hinwendung zur digitalisierten Arbeitswelt den Anschluss zu verlieren. Hier könnten gezielte Unterstützungsangebote für KI, aber auch ganz allgemein eine Entfesselung der unternehmerischen Kräfte durch Entbürokratisierung und eine deutlich geringere Regulierungsdichte helfen.

Eine ausführliche Expertise zu Potenzialen und Herausforderungen von KI-Lösungen zur Sicherung der Fachkräftebasis liefert das Whitepaper “KI für die Fachkräftesicherung nutzen”.

Das Interview ist für eine redaktionelle Verwendung freigegeben (bei Nennung der Quelle © Plattform Lernende Systeme).

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