3 Fragen an

Astrid Nieße

Professorin für Digitalisierte Energiesysteme an der Carl-von-Ossietzky-Universität Oldenburg

3 Fragen an Astrid Nieße

Ausbau erneuerbarer Energien: Sichere Stromversorgung dank KI

Die Energiewende schreitet voran: Der Anteil erneuerbarer Energien am deutschen Strommix hat sich in den vergangenen zehn Jahren verdoppelt und beträgt mittlerweile 42 Prozent (2019). Mit dem Ausbau regenerativer Quellen gehen Herausforderungen einher: So ist in den vergangenen Jahren ein Energieversorgungssystem entstanden, das aus vielen verschiedenen kleinen und großen Stromproduzenten besteht, auch die Verknüpfung mit Wärme und Gas gewinnt an Bedeutung. Die Energieversorgung erfolgt somit zunehmend dezentral und muss koordiniert werden. Zugleich beeinflusst das Wetter maßgeblich die Energiegewinnung aus Wind und Sonnenstrahlung – dies erfordert eine höhere Flexibilität in den Energiesystemen. Wie KI zu einer sicheren und verlässlichen Versorgung mit regenerativ genutzter Energie beitragen kann, erläutert Astrid Nieße. Die Professorin forscht an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg zur Digitalisierung von Energiesystemen mithilfe von selbstorganisierenden Verfahren und Software-Agenten und betreut anwendungsbezogene Forschungsprojekte am universitären An-Institut OFFIS – Institut für Informatik. Astrid Nieße ist Mitglied der Arbeitsgruppe Geschäftsmodellinnovationen der Plattform Lernende Systeme.

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Frau Nieße, Sie forschen im Bereich Energieinformatik. Welchen Beitrag kann KI zum Gelingen der Energiewende leisten?

Astrid Nieße: Um die Energiewende weiter voranzutreiben, müssen wir sie als Transformation eines laufenden sicherheitskritischen Systems verstehen: Wir nutzen Infrastruktur auf eine Weise, für die sie nicht geplant, getestet oder auch nur entwickelt wurde. Um das im laufenden Betrieb sicher umzusetzen, brauchen wir an vielen Stellschrauben Digitalisierung, die mittlerweile ganz häufig auf KI-basierten Systemen aufsetzt. Die Trennung, ob wir gerade von KI oder herkömmlichen Systemen sprechen, wird zunehmend unbedeutender. Ich behaupte sogar, dass wir ohne den methodischen Werkzeugkasten der Künstlichen Intelligenz – von verteilten autonomen Systemen bis hin zur Analyse großer Datenpools – schon heute viele Effizienzpotentiale in Energiesystemen nicht heben könnten. Postfossile Systeme, zu denen wir mit der Energiewende kommen wollen, sind zwangsläufig verteilte Systeme, die wir über Methoden der verteilten Künstlichen Intelligenz beherrschbar machen.

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Können Sie anhand eines konkreten Beispiels erläutern, warum die Transition zu postfossilen Energiesystemen erst durch KI möglich wird?

Astrid Nieße: Konventionelle Energiesysteme – ganz gleich, ob es um Strom, Wärme oder Gas geht – folgen einem stark zentralen bzw. hierarchischen Ansatz: Wenige Kraftwerke (oder Gaseinspeisungspunkte) sichern die Versorgung, die dann über mehrere Ebenen bis hin zu den Verbrauchspunkten – Privathaushalte, Gewerbe usw. – geliefert wird. Mit erneuerbaren Energiequellen kippt das System von der Versorgungsseite aus: Wir müssen erneuerbare Energien – abgesehen von wenigen Ausnahmen wie Offshore-Windparks oder Sonnengroßkraftwerke – verteilt „ernten“ und haben damit plötzlich eine unüberschaubare Menge von Mini-Kraftwerken. Die resultierende Kontrollaufgabe, etwa für den Ausgleich von Erzeugung und Verbrauch zu jedem Zeitpunkt, ist zentral nicht mehr lösbar. Methoden der verteilten Künstlichen Intelligenz (DAI – Distributed Artificial Intelligence) erlauben uns, Kontroll- und Steuerungsaufgaben zu verteilen und das System nicht nur in der Energiebereitstellung, sondern auch bezogen auf die begleitende Monitoring- und Kontrollaufgabe kontrolliert zu transformieren – hin zu einem selbstorganisierten, adaptiven und verteilt verlässlichem System.

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Welche Herausforderungen bestehen für die Entwicklung und Anwendung von KI-basierten Energielösungen?

Astrid Nieße: Unsere aktuell größte Herausforderung besteht nicht etwa darin, aus Daten zu lernen. Hier ist zwar noch viel zu tun, aber die großen Fortschritte im Bereich der Data Science können wir hier endlich zur Anwendung bringen. Was uns aber in sicherheitskritischen Systemen mit einem hohen Grad an Verteiltheit nach wie vor fordert, ist die Zuverlässigkeit der Systeme. Hier forschen wir an selbstorganisierenden, adaptiven und lernenden verteilten Systemen, die von Systemen aus Physik und Biologie inspiriert sind.

Das Interview ist für eine redaktionelle Verwendung freigegeben (bei Nennung der Quelle © Plattform Lernende Systeme).

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