Mehr Chancen als Bedrohungen: Künstliche Intelligenz bei Wahlen
Künstliche Intelligenz (KI) begegnet uns in allen Lebensbereichen – auch bei demokratischen Wahlen. KI-gesteuerte Social Bots in den sozialen Medien oder Deepfakes haben das Ziel, die Wahlentscheidung zu beeinflussen. Andererseits können KI-Systeme den Menschen individuelle Wahlempfehlungen geben und beim Auffinden von Fake News unterstützen. Welche KI-Anwendungen bei Wahlen zum Einsatz kommen können und wo ihre Potenziale und Herausforderungen liegen, untersuchen Expertinnen und Experten der Plattform Lernende Systeme in einem aktuellen Whitepaper. Ihr Fazit: Eine Bedrohung für Wahlen geht von KI-Systemen kaum aus. Vielmehr überwiegen die Chancen, mit KI eine offene Meinungsbildung im Vorfeld von Wahlen zu stärken.
Falschnachrichten oder Desinformationskampagnen erschweren die Meinungsbildung im Vorfeld von Wahlen. Mithilfe von Künstlicher Intelligenz lassen sich diese Informationen insbesondere in den sozialen Medien effizienter und zielgerichteter verbreiten. Die Manipulation von Wahlen durch KI-Systeme gehöre deshalb zu den gesellschaftlich immer wieder geäußerten Befürchtungen, heißt es in dem Whitepaper „KI-Systeme und die individuelle Wahlentscheidung. Chancen und Herausforderungen für die Demokratie“.
Für den Wahlprozess selbst gehen nach Ansicht der Autorinnen und Autoren bislang keine Gefahren von KI-Systemen aus. „Insbesondere die Stimmabgabe ist in Deutschland durch den Verzicht auf Wahlcomputer und ähnliche Technik sehr sicher. Vereinzelt mögliche Angriffe auf die Auswertung der Stimmen haben nichts mit KI zu tun. Wo KI Risiken birgt, ist im Wahlkampf und für die Meinungsbildung vor Wahlen“ sagt Tobias Matzner, Professor für Medien, Algorithmen und Gesellschaft an der Universität Paderborn und Mitglied der Arbeitsgruppe „IT-Sicherheit, Privacy, Recht und Ethik“ der Plattform Lernende Systeme.
Tobias Matzner
Professor für Medien, Algorithmen und Gesellschaft an der Universität Paderborn
Risiken für die Meinungsbildung, nicht für die Stimmabgabe. „Von KI geht momentan kein allzu großes Risiko für Wahlen aus. Insbesondere die Stimmabgabe ist in Deutschland durch den Verzicht auf Wahlcomputer und ähnliche Technik sehr sicher. Vereinzelt mögliche Angriffe auf die Auswertung der Stimmen sind bekannte Fragen der IT-Sicherheit und haben nichts mit KI zu tun. Wo KI Risiken birgt, ist im Wahlkampf und für die Meinungsbildung vor Wahlen.“
Risiken für die Meinungsbildung
Eines der Risiken besteht in der KI-getriebenen Verbreitung von Informationen. KI-Systeme können Fake-Accounts in den sozialen Medien betreiben, die Inhalte mit Likes versehen oder teilen und ihr manipulatives Verhalten so aussehen lassen, als stamme es von einem Menschen. Auf diese Weise verhelfen die sogenannten Social Bots Falschinformationen oder bestimmten Personen zu großer Reichweite. Beim sogenannten Microtargeting werden mithilfe von KI-Verfahren Nutzerdaten ausgewertet und – ähnlich wie in der Werbung – verschiedene Zielgruppen mit personalisierten Informationen angesprochen. Inwieweit auf diese Weise die Wahlentscheidung beeinflusst werden kann, ist allerdings noch nicht geklärt. Auch mit KI gefälschte Videos und Bilder können auf die Meinungsbildung der Wahlberechtigten einwirken. Einmal enttarnt, sind KI-Systeme allerdings auch dazu in der Lage, diese Deepfakes zu finden und zu löschen.
Jessica Heesen
Leiterin des Forschungsschwerpunkts Medienethik und Informationstechnik am IZEW der Eberhard Karls Universität Tübingen
KI trägt zu vertrauenswürdiger Wahlinformation bei. „Im Vorfeld von Wahlen steigt die Gefahr von absichtlich eingesetzten Desinformationskampagnen im Internet, um irreführende Informationen zu verbreiten. Zur Verstärkung werden häufig Social Bots eingesetzt. Trotzdem können gerade KI-Systeme einen Beitrag für die Detektion von Falschnachrichten leisten. Zu einseitigen Inhalten oder in algorithmischen Filterblasen können sie zudem alternative Links und Gegenargumente bereitstellen und insgesamt zu einer vielfältigeren und vertrauenswürdigen Form der Informationsbereitstellung beitragen.“
Neben den Deepfakes kann auch weiteren Risiken mithilfe von KI-Instrumenten begegnet werden. „Insbesondere im Vorfeld von Wahlen steigt die Gefahr von absichtlich eingesetzten Desinformationskampagnen im Internet, um irreführende Informationen zu verbreiten. Zur Verstärkung werden häufig Social Bots eingesetzt. Trotzdem können gerade KI-Systeme einen ersten wertvollen Beitrag für die Detektion von Falschnachrichten leisten“, sagt Jessica Heesen, Medienethikerin an der Eberhard Karls Universität Tübingen und Leiterin der Arbeitsgruppe „IT-Sicherheit, Privacy, Recht und Ethik“ der Plattform Lernende Systeme. Zu einseitigen Inhalten oder in algorithmischen Filterblasen können zudem alternative Links und Gegenargumente bereitgestellt werden.
Der Datenplattformbetreiber sei dafür verantwortlich, Datenschutzmaßnahmen wie Datensparsamkeit und Anonymisierungs- oder Pseudonymisierungsmechanismen zu etablieren. Die Experten empfehlen, mit den Datenhaltern technische und vertragsrechtliche Sicherheitsregeln zur Nutzung der Mobilitätsplattform zu vereinbaren und deren Einhaltung durch unabhängige Zertifizierung und Audits kontinuierlich zu prüfen.
Christoph Bieber
Leiter des Projekts KI-Governance an der Universität Duisburg-Essen
Mehr KI im Wahlprozess möglich. „In der digitalen Welt bringt auch der politische Prozess inzwischen sehr viele Daten hervor. Immer öfter sind große Datenmengen die Grundlage für automatisierte Auswertungsverfahren, bei denen auch Formen des maschinellen Lernens Anwendung finden können. Bislang werden KI-Systeme noch kaum im Umfeld politischer Wahlen eingesetzt – allerdings lassen Wahlkampf- oder Wahlempfehlungs-Apps sowie weitere Formen der digitalen Wahlvorbereitung erahnen, dass sich dies künftig ändern könnte.“
Mit KI die Wählerinformation verbessern
In politischen Prozessen fallen heute großen Mengen an Daten an, die sich mithilfe von KI-Methoden auswerten lassen. Die Autorinnen und Autoren des Whitepapers betonen das Potenzial der KI-basierten Datenanalyse, um die Wählerinformation und -mobilisierung zu verbessern. Dies sei noch nicht ausgeschöpft. Als Beispiel nennt das Whitepaper Wahlempfehlungs-Apps wie den Wahl-O-Mat. Aktuelle Anwendungen könnten mithilfe von KI-Methoden die individuellen Einstellungen der Menschen stärker berücksichtigen und ihre Empfehlungen mit jeder Nutzung verbessern. Auch Wahlkampf-Apps der Parteien sowie Wahlprognosen können von KI profitieren.
Armin Grunwald
Professor für Technikphilosophie am Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Leiter des Büros für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB)
KI ist kein Selbstzweck. „Oft gilt KI als Bedrohung für die Demokratie, vor allem aufgrund der befürchteten Manipulation des Wählerwillens. Umgekehrt wird von KI-Enthusiasten gefordert, dass KI-Systeme, allein weil sie verfügbar sind, zur Verbesserung demokratischer Wahlvorgänge zum Einsatz kommen. Entgegen pauschalen Erwartungen wie Befürchtungen ist jedoch konkret zu fragen, was KI unter welchen Bedingungen beitragen kann, um demokratische Wahlen zu unterstützen und eventuellen Problemen abzuhelfen.“
Damit die Chancen von KI-Systemen für eine offene Meinungsbildung realisiert und Risiken abgeschwächt werden können, adressieren die Autorinnen und Autoren Gestaltungsoptionen. So empfehlen sie, Microtargeting gesetzlich weiter einzuschränken, etwa durch eine Kennzeichnungspflicht. Zur konsequenten Verfolgung von Straftaten in den sozialen Medien fordern die Expertinnen und Experten, Strafverfolgungsbehörden und Justiz personell besser auszustatten. Zudem müssen die Kompetenzen der Menschen zur Bewertung von Informationen im Internet gestärkt werden.
Alexander Roßnagel
Professor für Öffentliches Recht der Universität Kassel, Hessischer Beauftragter für Datenschutz und Informationsfreiheit
Rechtlicher Rahmen zum Schutz der Grundrechte. „Die Anwendung von Künstlicher Intelligenz im Kontext von Wahlen kann die Verwirklichungsbedingungen von Grundrechten verbessern, indem sie etwa die Freiheit der Meinungsbildung und -äußerung unterstützt. Sie kann sie aber ebenso verschlechtern, wenn sie z.B. zu einer unerkannten Manipulation des Wählerwillens genutzt wird. Damit solche Anwendungen die Zielsetzung informierter und freier Wahlen nicht gefährden, ist ein rechtlicher Rahmen notwendig, der einen sozialnützlichen Einsatz von Künstlicher Intelligenz befördert.“
Über das Whitepaper
Das Whitepaper KI-Systeme und die individuelle Wahlentscheidung. Chancen und Herausforderungen für die Demokratie wurde von Expertinnen und Experten der Arbeitsgruppe IT-Sicherheit, Privacy, Recht und Ethik der Plattform Lernende Systeme verfasst.
Weitere Informationen:
Linda Treugut / Birgit Obermeier
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